Konzertreise nach Lettland, Sommer 2024

Kaum waren 20 Jahre seit unserer Reise nach Estland vergangen, schon hatte die Ottos wieder das Reisefieber ins Baltikum gepackt.

Zwei Jahre intensiver, aber auch sehr vergnüglicher Vorbereitungszeit mit immer neuen Ideen und dem Knüpfen vielfältiger Kontakte waren der Reise vorausgegangen. Zwei Orchestermitglieder hatten im Juli 2023 sogar eine einwöchige Vorbereitungstour nach Lettland unternommen. Dann sollte es am 19. Juli 2024 losgehen.

Als sich die Reisegruppe mit 62 Mitgliedern am Berliner Flughafen traf, wurde sie mit einer schockierenden Nachricht empfangen. Weltweit war das Flughafen-Computer-System zusammen-gebrochen und die Flughäfen mussten zeitweise stillgelegt werden. Doch nach stundenlanger Wartezeit konnten die Ottos in letzter Minute doch noch nach Riga fliegen. Sie erreichten um drei Uhr in der Nacht das Hotel Wellton Riverside, wo sie von einer Voraus-Gruppe mit Snacks und Getränken empfangen wurden.

Als wir am folgenden Morgen erwachten und aus dem Fenster blickten, tat sich ein großartiges Panorama vor uns auf: Die Daugava (Düna), Rigas breiter Fluss, der die Stadt durchzieht und am Hafen vorbei in die Ostsee fließt, ist sehr faszinierend. Auch das utopisch anmutende riesige Gebäude der lettischen Nationalbibliothek auf der gegenüberliegenden Uferseite macht einen imposanten Eindruck.

Gleich am nächsten Tag fuhren wir mit dem Bus in die Stadt Liepaja mit Besichtigung der Great Amber Concert Hall, Lettlands größtem und hochmodernen Konzertsaal. In Liepaja hatten wir eigentlich selbst ein Konzert geplant, das aber mangels Unterkunftsmöglichkeiten nicht zustande kam. Alle Hotels waren wegen der Autorallye-Weltmeisterschaft belegt.

Für die lange Busfahrt wurden wir mit einem wunderbaren Mittagessen in einem zauberhaften Gartenrestaurant inmitten lettischer Natur entschädigt. Auf der Rückfahrt haben wir im Restaurant OTTO (!) in Jelgava zu Abend gegessen.

Und dann begann die Probenarbeit in der alten Petri-Kirche zu Riga, deren Geschichte bis in das Jahr 1209 zurückreicht. Wir hatten Werke von Anton Bruckner (Ouvertüre g-moll), Franz Schubert (die Unvollendete), Edward Grieg (Sinfonische Tänze) und Jean Sibelius (Finlandia) geprobt. Außerdem standen zwei Werke der lettischen Komponisten Pēteris Vasks (Musica serena) und Rihards Dubra (Agnus Dei) auf dem Programm.

Zusätzlich zu den Proben waren die Tage ausgefüllt durch Stadtführungen u.a. durch Prof. Ilgvars Misans, der uns schon vor zwanzig Jahren anlässlich unserer ersten Baltikum-Reise durch Riga geführt hatte. Bei einem Besuch in der lettischen Nationalbibliothek überreichten wir einen Bildband über die Geschichte der Berliner Oper mit Unterschriften aller Ottos, der dort in einem riesigen Regal mit Gastgeschenken einen würdigen Platz gefunden hat. Vor dem ersten Konzert haben wir uns mit kleinen Ausflugsbooten durch die innenstädtischen Kanäle bis zur Daugava fahren lassen.

Dann fand das erste Konzert in der fast vollen Petri-Kirche in Anwesenheit der Komponisten Pēteris Vasks und Rihards Dubra sowie des ehemaligen lettischen Staatspräsidenten Egils Levits und des deutschen Botschafters Christian Heldt statt. Botschafter Heldt hatte am Vortag für uns einen Vortrag zur aktuellen politischen Situation Lettlands gehalten und lange mit uns diskutiert. So waren wir bestens auf die folgenden Tage eingestimmt.

Das Konzert jedenfalls war ein voller Erfolg, denn das Publikum applaudierte lange und ausdauernd. Wolfgang Behrendt erwies sich einmal mehr als Glücksfall für unser Orchester, indem er uns auf diese anspruchsvolle musikalische Reise durch das Programm mitnahm. Im Anschluss an das Konzert hatten wir einen Empfang mit Leckereien und guten Getränken in der Kirche organisiert. So gab es noch viele Gespräche mit Besucherinnen und Besuchern unseres Konzertes.

Am nächsten Tag besuchten wir zunächst das Jüdische Haus mit einer eingehenden Führung durch dessen Leiter Ilya Lenski. Danach fuhren wir zur Holocaust-Gedenkstätte Bikernieki, gut 10 km vom Stadtzentrum Rigas in einem Wald gelegen. Hier ermordeten die Nazis etwa 35.000 jüdische Menschen, die vor allem aus Deutschland dorthin deportiert worden waren und unmittelbar nach ihrer Ankunft in diesem Wald ermordet und in Massengräbern vergraben wurden. Die Vorstellung davon an diesem mitten in der Natur gelegenen Ort des Grauens, der  etwas Unschuldiges zu haben schien, machte uns alle tief betroffen. Es ist gut und wichtig, dass es solche Gedenkstätten gibt, damit wir nicht vergessen, wozu Menschen auch fähig sind. Es ist auch wichtig, diese Orte zu besuchen und sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

Am folgenden Tag fuhren wir mit dem Bus nach Sigulda. Unterwegs machten wir einen Halt in dem wunderbaren Privathaus von Freunden, das sehr idyllisch in einem Wald gelegen ist. Sie haben uns bei der Vorbereitung der Konzertreise geholfen und wichtige Kontakte hergestellt, was unter anderem zu einem Radio-Interview sowie einem Auftritt im lettischen Frühstücksfernsehen vor dem ersten Konzert geführt hatte.

 Das zweite Konzert fand in der Konzerthalle „Weißer Flügel“ der Kleinstadt Sigulda statt, deren Gebäude einem riesigen Konzertflügel nachempfunden ist. Das sehr aufgeschlossene Publikum begrüßte unsere Zugabe mit großem Beifall. Es war der „Melancholische Walzer“ des lettischen Komponisten Emīls Dārziņš.

In den nächsten Tagen folgten weitere Besichtigungen, wie z.B. ein Besuch im Nationalen Lettischen Kunstmuseum unter sehr fachkundiger Führung und ein Besuch des Jugendstilviertels erneut unter Führung von Professor Ilgvars Misans.

Der abschließende Höhepunkt war eine Schiffsfahrt auf der Daugava, bei der den beiden hauptverantwortlichen Organisatoren der Reise auf das Herzlichste gedankt wurde, nämlich mit Gedicht, Gesang und Geschenken.

Die Abende konnten wir auf der Dachterrasse unseres Hotels, dem Wellton Riverside, ausklingen lassen und den Blick über die Daugava und das Panorama von Riga genießen. Als wir am Sonntag, dem 28. Juli, dann abends nach Berlin zurückflogen, waren wir alle angefüllt mit unseren Erlebnissen, die wir alleine und in der Gruppe miteinander gemacht hatten.

Und wieder hatten wir Glück, denn gleich nach unserem Abflug wurde der Flughafen geschlossen, weil sich ein so starker Sturm ankündigte, wie Riga das nie zuvor erlebt hatte.

Unserem sechsköpfigen Organisationsteam sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt für alles, was uns als Gruppe ermöglicht wurde. Riga ist wirklich mehr als nur eine Reise wert.

Konzertreise Broschüre 

Konzertreise nach Malta, Frühjahr 2017

Vom 16.-27.4.2017 waren die Ottos nach Malta eingeladen. Ja, eingeladen von der deutschen evangelischen und katholischen Gemeinde, vom Erzbischof Charles J.Scicluna und empfangen von der Deutschen Botschaft. Finanziell wurde das Projekt unterstützt vom Auswärtigen Amt und der EKD. Im Reformationsjahr 2017 gaben die Ottos ein Konzert in der anglikanischen St.Pauls Cathedral. Mit Wolfgang Behrendt spielten wir die 2. und 4. Sinfonie von Robert Schumann. Das Orchester wurde ergänzt durch Mitglieder des Malta Philharmonic Orchestra. Sie unterstützten uns auch mit der Ausleihe von 2 Kontrabässen und Pauken. Das „deutsche“ Programm fand großes Interesse und viel Beifall in Malta.

Zeitgleich hielten sich die Mitglieder des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages in Malta auf. Malta hatte in der Zeit die Ratspräsidentschaft der EU inne. Die Deutsche Botschaft gab einen Empfang in der Residenz der Botschafterin. Die Bläser der Ottos glänzten mit einem Serenadenkonzert. Es gab Gelegenheit für viele Gespräche mit Maltesern und den Abgeordneten, u.a. über das Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer und die Zukunft der EU. Malta gilt als Steuerparadies.

Höhepunkt des ökumenischen Reformationsfests „Christians together“ – in Malta gehören über 90 % der Bevölkerung der katholischen Kirche an – war ein Gottesdienst mit dem Erzbischof Scicluna in der Kathedrale von Mdina. Die Ottos musizierten Bachs Kantate 79, Oberkirchenrätin Fecht von der EKD hielt die Predigt. Da nur ein „kleines“ Orchester nötig war, bildeten wir Übrigen einen Projektchor mit Iris Werner, Renate Dasch und Olaf Lorenz als Solisten.

Es blieb reichlich Zeit, um die Schönheiten der Insel zu entdecken, Rundfahrt und Besichtigungen eingeschlossen. Im Hafen lag die „Sea-Watch 2“. Wir besichtigten das Rettungsschiff und hatten Gelegenheit von der Besatzung zu erfahren, was Seenotrettung von Flüchtlingen bedeutet, die Sicherheit in der Festung Europa suchen. Zuvor hatten wir Gespräche mit Hilfsorganisationen wie „Help the children of Halfar“, Flüchtlingsanwälten und der Jesuiten-Flüchtlingshilfe.

Es hat sich bewährt, dass die Reise von „Ortskundigen“ vorbereitet werden konnte. Dieter und Claudia Paul waren von 2013 bis 2015 Pfarrersleute der evangelischen Gemeinde in Malta und konnten daher viele Beziehungen nutzen und die offizielle Einladung und Finanzierung erreichen.

Dieter Paul

Konzertreise nach Polen, Sommer 2011


Nach zwei Jahren befiel die Ottos wieder ihre Reiselust. Der Blick blieb bei Anna hängen, die viele Kontakte in Polen hat. Unser Nachbarland wäre doch sehenswert.

Die Ottos erhielten eine Einladung vom Bürgermeister und dem Kulturzentrum Kwidzyn (Marienwerder). Am 02.07.2011 startete der Reisebus nach Marienwerder. Auf dem Hinweg gab es einen Halt in Bydgoszcz (Bromberg). Dort zeigte Anna ihren alten Musikcampus, auf dem Musikgrundschule, Musikgymnasium, Musikhochschule sowie die Philharmonie rings um einen Platz angeordnet sind. Nach einem köstlichen Essen mit typisch polnischen Spezialitäten waren alle gestärkt, um die Stadt zu erkunden.

In Marienwerder schliefen die meisten Ottos im Internat der Musikschule, wo sich auch der Probensaal befand. Beim Abendessen wurden alle vom Musikschuldirektor Jaroslaw Golder begrüßt. Die Vormittage nutzte das Orchester mit ihrem Dirigenten Wolfgang Behrend für ausgiebige Proben. Auf dem Programm stand:

Carl Maria von Weber: Ouvertüre „Peter Schmoll“
Karol Borsuk: Capriccio für Orchester und Violine, Solo Anna Ciechanowski
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 8 F- Dur
Jerry Bock: Sunrise Sunset sowie Louis Ferrari: Domino, gesungen von Alicja Gzella
(nur beim Konzert am Mittwoch)


Wir wurden von zwei Profimusikern (Fagott und Kontrabass) aus Bromberg verstärkt.

Am Mittwoch folgte das erste Konzert, zu dem uns das Kulturzentrum von Świecie nad Wisłą (Schwetz an der Weichsel) eingeladen hatte. Durch das Programm führte Anna Tomasik, die im Anschluss an das Konzert für Speis und Trank sorgte.

Am Donnerstag spielten die Ottos in der Kathedrale von Marienwerder. Der für den Dom zuständige Pfarrer Marek Kubecki hielt eine freundliche, völkerverbindende Ansprache vor dem Konzert. Wojciech Weryk vom Rathaus sowie Marek Wawryniuk und Agata Jackowska vom Kulturzentrum luden uns zu einem Empfang, bei dem das Orchester in mehreren Reden überschwänglich gelobt wurde.

Natürlich gab es auch die Gelegenheit für zahlreiche Besichtigungen. Am Sonntag gab es eine Führung in Pelplin. Die Kathedrale dort ist eine der am besten erhaltenen ehemaligen Zisterzienser-Kirchen der Welt. Im Museum gibt es neben den Schreinmadonnen eine originale Gutenberg-Bibel.

Am Montag nahmen wir uns die Zeit unseren Heimatort Marienwerder kennen zu lernen. Am Abend begrüßte uns Herr Manfred Ortmann von der Gesellschaft der deutschen Minderheit und hielt einen Vortrag. Im Anschluss folgte ein Tanzabend mit Livemusik und Essen. Am Dienstag widmeten wir den Tag der Hansestadt Danzig und lauschten in Oliwa einem Konzert auf der berühmten Orgel.

Am Dienstag widmeten wir den Tag der Hansestadt Danzig und lauschten in Oliwa einem Konzert auf der berühmten Orgel.

Am Freitag gab es keine Probe mehr, daher viel Zeit um Malbork (Marienburg) zu erleben. Bei der Abschiedsparty mit Grillen am Lagerfeuer versammelten sich alle ein letztes Mal.
Auf der Rückreise wurde die Gelegenheit für einen Halt in der ehemaligen Hansestadt Toruń (Thorn), dem Geburtsort von Nikolaus Kopernikus genutzt. Nach einer erlebnisreichen Woche traf der Bus wieder in Berlin ein.

Konzertreise nach Ungarn, Herbst 2008

Eine Bearbeitung im Januar 2021

Ein Orchester macht eine Reise. Das ist nichts Besonderes. Das machen viele Orchester. Am Ankunftsort wird geprobt und es kommt zur Aufführung von Konzerten. Auch das gehört in der Regel zu einer Orchesterreise, ist Sinn und Zweck. Die wichtigsten Daten sind schnell aufgelistet.
Reise vom 18.10.2008 – 25.10.2008 nach Enese/Ungarn

Konzertprogramm:

Max Bruch, Kol Nidrei für Violoncello und Orchester op 47 (1880: Das Werk basiert auf dem jüdischen Gebet Kol Nidre, das am Vorabend des höchsten jüdischen Feiertags, des Jom Kippur, gebetet wird)
Gabriel Faure Pelleas und Melisande Suite op.80 (1898 Bühnenmusik für eine Londoner Theateraufführung)
Franz Schubert Sinfonie Nr.8 (die Unvollendete) (1882 in Wien entstanden als zweisätzige Sinfonie)

Solistin: Christiane Becker
Dirigent: Wolfgang Behrend
Aufführende: Otto-Sinfoniker Berlin

Aufführungsorte:
Synagoge in Györ
Saal in Mosonszentmiklóson

An-und Abfahrt mit dem Bus
Unterkünfte: in Privatwohnungen der ungarischen Dorfbevölkerung

Nun könnte ich noch die Biographien der Akteure einfügen und schon wäre der Bericht fertig. Aber irgendwie geht es so nicht.

Warum geht es so nicht? Eine Orchesterreise ist eben viel mehr, als eine Reise um Konzerte zu spielen. Ja, die Konzerte bilden den Höhepunkt, aber es passiert sehr viel mehr darum herum. Ich wünsche Euch allen viel Spaß beim Lesen und Entdecken der Besonderheiten des Otto-Orchesters.

Beginnen wir mit den ersten Erinnerungen nach 13 Jahren: An alle dabei gewesenen: Wisst ihr noch??? Wann war es? „2010, 2015, nein: 2008 vom 18.10.2008 bis zum ???“ „Fünf Tage, drei Wochen, nein: eine Woche.“ „Wie hieß man noch das Dorf?“ „ Enese.“ „Und wo haben wir Konzerte gespielt?“ „Und was haben wir alles gesehen?“ Ja, und so langsam kommen sie, die Erinnerungen.

Konzert in der Synagoge in Györ

Da sind wir uns einig. Das war ein unvergessenes Erlebnis.

Kol Nidrei von Bruch, aufgeführt in der Großen Synagoge in Györ, das war genau der passende Ort. Für Alle beeindruckend! Christiane spielte ein ergreifendes Cellosolo und das Orchester begleitete einfühlsam. Es war eine wunderbare Atmosphäre und auch unsere anderen Konzertwerke gelangen in Ottomanier, mit sehr viel Hingabe und musikalischem Ausdruck. Es erklangen die Sinfonie Nr. 8 (Unvollendete) von Schubert sowie Pelleas und Melisande von Fauré. Wolfgang Behrend leitete die Ottosinfoniker erst seit zwei Jahren und hatte sich auf das Abenteuer einer Ottoreise eingelassen. Aber vor diesem Konzertnachmittag lagen ja schon viele interessante Erlebnisse.

Die Busreise: Die Reise begann mit einer zwölfstündigen Busfahrt. Anstrengend könnte man meinen, aber glücklicherweise gibt es unter den Ottos „Menschen für alle Fälle“. Sie sorgten während der notwendigen Pausen für Entspannungs- und Bewegungsübungen, boten Yoga an oder filmten die Umgebung. Es wurde Kaffee verteilt und auch während der Busfahrt sollte es nicht langweilig werden. Neben den Individualbeschäftigungen wie lesen, schlafen, diskutieren gab es schon einmal eine Einführung in die ungarische Sprache, Kerstin erklärte die verschiedenen s-Laute und führte die ersten ungarischen Wörter ein.

Die Begrüßung in der Schule in Enese durch unsere ungarischen Organisatoren Eszter Gülch und Katie sowie Karl Tschurl war äußerst herzlich. Erschöpft nach einem Abendessen im Keller des Kindergartens wurden wir von den Gastfamilien in Empfang genommen. Zu zweit, zu dritt oder auch zu acht lebten wir eine Woche in den Privathäusern des Ortes. In einigen Häusern fühlten wir uns von der Einrichtung her gesehen in die sechziger Jahre zurückversetzt, umso herzlicher war die Gastfreundschaft, die wir erleben durften.

Aber warum nur waren wir in dieses ungarische Dorf gefahren. Zur Beantwortung dieser Frage greife ich auf eine 15jährige Vorgeschichte zurück.

Enese und seine Musikwerkstatt

Die erste Begegnung mit Enese fand ca. 1992 statt. Der IAM (internationale Arbeitskreis für Musik) bot Orchesterreisen in diesen Ort an. Anmelden konnten sich Laien aus Deutschland, die unter der Anleitung von ungarischen Profimusikern (alle Stimmführer und ein Bläserdozent) sowie einem ungarischen Dirigenten sinfonische Musik einstudierten und sie im Schloss Esterhazy oder im Hof des Karmeliterklosters in Györ aufführten. Fehlende Instrumentalisten wurden durch Studierende der Universität Budapest ergänzt. Zusätzlich gab es Kammermusikworkshops.

Treibende Kraft vor Ort, war Karl Tschurl, ein Solobratschist aus Duisburg, der in sein Heimatdorf, aus dem er vertrieben worden war, zurückkehrte, um musikalisches und kulturelles Leben im Ort zu schaffen. Sein Elternhaus, das als Kindergarten genutzt wurde, ließ er in der Verwendung des Dorfes und gestattete, dass es als Kulturhaus genutzt wurde. Der Bürgermeister Jozsef Tibor unterstützte das Unterfangen, in der Kindergartenküche wurde für die Anreisenden gekocht, die Schule stellte ihre Räume zum Üben zur Verfügung, einige Reisende schliefen auf dem Dachboden der Schule, andere bei Einheimischen auf dem Sofa in der Stube oder in einem kleinen Zimmer und der Esssaal wurde als Zeltkonstruktion mit aufrollbaren Seitenwänden auf dem Schulhofgelände aufgebaut. Nach den Orchesterproben bot Karl Tschurl viele selbstorganisierte Ausflüge an, nach Györ, Pannonhalma, Budapest, Esztergom, in die ungarische Pußta mit dem Leiterwagen, nach Heviz zum größten Thermalsee Europas, zum Balaton, zum Schloss Esterhazy und nach Hollókö . Zusätzlich ging es mit dem Rentnerchor in die Weinberge oder in kleiner Gruppe nach Budapest mit Stadtbesichtigung und Besuch der berühmten Lakatosch- Famlilie im Restaurants Mátyás Pince (Matthiaskeller). Die Liebe von Karl zu seinem Land, mit der er mich begeisterte, sollten alle Ottos erleben dürfen. Also gründeten wir eine Vorbereitungsgruppe. Wer war eigentlich damals dabei? Die Reise wurde mit viel Vorfreude geplant und organisiert. Ca. 40 Ottos fuhren mit.

Proben- und Lebensart der Ottosinfoniker (Ottos) in Enese

Natürlich haben wir viel geprobt und richtig gearbeitet. Die Bedingungen für uns waren wunderbar. Während einer Woche standen uns das große Gelände der Schule und des Kulturhauses mit all seinen Räumen zur Verfügung. Die Schule war inzwischen mit Lottogeldern um einen großen Musikraum mit guter Akustik erweitert worden. So gab es reichlich Platz für Tuttiproben, und das Kulturhaus sowie die Schulräume konnten für Stimmproben oder Bläserproben genutzt werden. Das Essenszelt war einem richtigen Essensraum im Kindergarten gewichen und für die abendlichen „Konferenzen“ der Ottos mit Wein und Gebäck stand ein neues Kellergewölbe zur Verfügung. Zwei junge Studenten bewirteten uns täglich.

Während der Freizeit konnten wir das Schulgelände nutzen, den betonbepflasterten Teil des Schulhofes sowie die riesige Rasenfläche und die vielen Sitzgelegenheiten vor dem Kulturhaus. Da wurde Sport getrieben, zB. Basketball, im Freien musiziert (schon wieder!) und gelesen, sich gesonnt, geschrieben, gefilmt. Interessant war auch die Beobachtung, dass die Grundschüler aus Enese während ihrer Schulferien den Garten des Schulhofes pflegten. Und wie selbstverständlich für uns Ottos fanden sich auch in der Freizeit Streichquartette, Bläsersextette und probten im Schulgebäude. Der Otto-Chor, der über ein eigens für die Reise zusammengestelltes Liederbuch verfügte, vergnügte sich auf der Rasenfläche.

Den Abend beschlossen wir in der Regel mit einem geselligen Beisammensein im Gewölbekeller, aber Untätigkeit gab es auch hier nicht. Fröhlich einstudiert wurde u.a. ein ungarisches Lied, das von Karl mit viel Lebensfreude einstudiert wurde und sich zum Ohrwurm entwickelte. Selbstverständlich wurde auch unser ungarisches Sprachrepertoire erweitert. Wir lernten kleine Redewendungen, Begrüßung, Verabschiedung, Danksagung.

Gastgeschenke

Am ersten Probentag wurden wir vom Bürgermeister des Ortes Mesterházy József mit einem Vortrag über das Dorf, seine Geschichte, seine kulturellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten und über die aktuelle Einbindung in die politische Situation in Ungarn, begrüßt. Er hatte Visionen zur Weiterentwicklung des Dorfes. Was wohl daraus geworden ist? Neugierige können weiterlesen unter https://www.enese.hu

Übrigens, das Dorf ist ein Dorf. In ihm leben ca. 1800 Einwohner. Es liegt an einer Bundesstraße von Wien nach Budapest, verfügt über einen Bahnhof, eine Gaststätte und mehrere kleine Supermärkte wie einen Friseur. Die Schule bekommt jetzt auch eine Turnhalle. Der Bürgermeister ist auch heute noch der Bürgermeister.

Vor einem Mittagessen überraschten uns unsere Gastgeber mit einem musikalischen Geschenk. Ungarische Volkstänze auf dem Schulhof. Auf dem holprigen Asphaltboden des Schulhofes hatten die Schülerinnen und Schüler der Grundschule und einige Ehemalige einen Kassettenrecorder und eine Box aufgebaut. Nach einer kurzen Ansage begannen die Darbietungen. Tänzer und Tänzerinnen in Trachten betraten die Bühne. Zur Eröffnung zeigten die jungen Mädchen ihren Flaschentanz. Es folgten der Stocktanz der Jungen und Paartänze zur ungarischen Volksmusik.

Unseren Dank für diese Geste der Gastfreundschaft sprachen wir schon zwei Tage später am frühen Morgen um 8.00 Uhr durch ein Schülerkonzert aus. Wolfgang Behrend, unser Dirigent, improvisierte in Windeseile ein einstündiges Schülerkonzert. Instrumentengruppen und Soloinstrumente stellte er mit Themen der Schubert-Sinfonie vor, entwickelte rhythmische Mitmachübungen zum Klang des Orchesters und ließ einen Schüler dirigieren. Der Applaus der Schüler ließ uns beflügelt in den Tag starten.

Weitere Fotos vom Konzert seht ihr im Netz, wenn ihr eingebt: “ musikwerkstatt-ungarn.blogspot.com“ und dann nachseht unter „Kinder und Musik“. Viel Spaß

Die Konzerte der Ottos

Zwei Aufführungsorte, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Die große Synagoge in Györ, die nach den Deportationen der jüdischen Bevölkerung während des 2. Weltkrieges zerfiel und ab 1990 als kultureller Veranstaltungsort durch die Stadt Györ genutzt wird.

Ein Saal in einem Nachbarort von Enese, Mosonszentmiklóson. Wir wurden zur Eröffnung einer Ausstellung eingeladen, die sich mit dem Komponisten und Dirigenten Arthur Nikisch beschäftigte, der 1855 in diesem Ort geboren wurde und bis 1922 u.a. in Leipzig im Gewandhausorchester und in Berlin bei den Berliner Philharmonikern als Dirigent tätig war. An diesem Ort führten wir zusätzlich zum Programm ein Werk für Chor und Orchester auf, einen Zyklus ungarischer Volkslieder. Der Komponist ist mir entfallen. Zur Aufführung dieses Werkes arbeiteten wir mit dem Rentnerchor der Partnerorte von Enese zusammen. So lernten wir ungarische Rhythmen und Harmonien kennen.

Die Ausflüge in die Umgebung

Ungarn ist eine Reise wert. Wer Lust hat kann im Netz auf unseren Spuren wandeln. Hier werde ich nur noch die Orte aufzählen. Kennengelernt haben wir mit den jeweiligen Stadtführern Győr, eine Stadt mit vielen barocken Sehenswürdigkeiten und einer wunderschönen Altstadt. Das Schloss Esterhazy, in dem Haydn gewirkt hat, das restauriert wurde und über herrliche Innenräume verfügt, die für Konzerte benutzt werden können. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Österreicher. Lohnenswert war der Ausflug zur Benediktinerabtei Pannonhalma . Es ist das größte und älteste Kloster Ungarns. Wir bestaunten vor allem die wertvolle Bibliothek, die prachtvolle Basilika und den herrlichen Ausblick über das Land. Und natürlich mussten wir einen Tag nach Budapest. Wir besuchten die Fischer-Bastei, bummelten durch die Altstadt, kauften in der Markthalle ein, fuhren mit der Straßenbahn oder entdeckten eines der riesigen Thermalbäder Budapests. Am Abend gab es dann das unvergessliche Erlebnis der Dampferfahrt auf der Donau auf dem Operettenschiff. Ach, und nicht zu vergessen, die Besichtigung des Parlamentsgebäudes am Vormittag. Da wird jeder seine eigenen Erinnerungen haben.

Feste und Abschied

Unsere Konzerterfolge wollten gefeiert werden. In Györ kehrten wir in ein ungarisches Restaurant zum Essen ein. Für Einige von uns wurde der Stimmungswechsel von der Ergriffenheit des Konzertes in den Alltag eines Restaurants mit ungarischer Zigeunermusik schwierig, aber der Abend klang dann doch fröhlich aus mit tänzerischen Darbietungen und einer Soloeinlage auf der Geige von Karl. In Mosonszentmiklóson wurden wir nach dem Konzert von der Gemeinde in den Saal geladen und bewirtet. Wir tauschten Gastgeschenke aus und übergaben die handgeschriebenen Noten in computergefasster Notenschrift an die Gemeinde. Den letzten Abend vor unserer Abreise verwöhnte uns die Küche aus Enese mit einem selbstgemachten Buffet. Für die Unterhaltung sorgten die verschiedensten Untergruppen des Orchesters. Vom Bläsertrio über den Schlangentanz bis zur Tanzmusik vom Salonorchester überboten sich die Darbietungen.

Nachwort

Ja, es war eine wunderbare Reise und ich soll euch Alle grüßen von Karl Tschurl. Er ist jetzt 88Jahre alt und lebt im Augustinum in Bonn. Dort leitet er eine Musikgruppe: drei Flöten, ein Cello und er wirkt als Geige oder Bratsche mit. In unserem Telefonat teilte er mir mit, dass die Musikwerkstatt 2010 das letzte Mal stattgefunden hat. Er freute sich über den Anruf und wird den Bürgermeister von Enese von uns grüßen.

Wer jetzt Lust bekommen hat auf weitere Erinnerungen, kann sich gern an unseren Archivar wenden. Es bestehen 3 DVDs: ein Quer-und Zusammenschnitt, das Konzert in der Synaggoge und unsere gesammelten Fotos.

Freuen wir uns auf eine weitere Reise

Konzertreise nach Estland, Sommer 2004

Für viele von uns war es ein Abenteuer, in das ziemlich unbekannte Estland zu fahren. Bis 1990 war dieses Land noch Teil der Sowjetunion, seit 1991 unabhängig und gerade erst am 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union geworden. Das war bei den Reiseplanungen noch nicht abzusehen, darum haben viele Musiker erst einmal einen Pass beantragen müssen, der dann gar nicht mehr nötig war. Während Pauken und andere große Instrumente mit einem Transporter mit Diedrich Engelbrecht und Helmut Happe auf einer Fähre über die Ostsee schwammen, flog das übrige Orchester am 26. Juni 2004 von Berlin in die lettische Hauptstadt Riga, wo ein Bus am Flughafen wartete, der uns über die Grenze und durch die damals noch existierende Grenzkontrolle nach Estland brachte. Dort brauchten wir dann statt EURO die estnische Krone.

Unser erstes Quartier bezogen wir in Viljandi. Bereits am nächsten Tag waren die Ottos aktiv durch musikalische Begleitung des sonntäglichen Gottesdienstes in der dortigen St. Johannes-Kirche und am selben Ort abends mit dem ersten Konzert des gesamten Orchesters. Dabei wurden die Ouvertüre (estnisch Uvertüür) g-moll von Anton Bruckner, die „Letzte Beichte“ (Viimne Piht) für Violine (Solistin Marianne Havran) und Orchester des estnischen Komponisten Artur Kapp, das Adagio für Streicher (Keelpillidele) von Samuel Barber und die 9. Sinfonie (Sümfoonia) C-Dur von Franz Schubert aufgeführt. Dirigentin war auf der ganzen Reise unsere Catherine Maguire.

Der folgende Tag war dem Kennenlernen der Umgebung gewidmet. Nach einer Stadtführung in Viljandi brachte der Bus uns in nahe Dorf Mustla, wo wir einen Grillnachmittag auf dem Grundstück eines Orchestermitgliedes verbrachten und die Natur genießen konnten. Bereits am nächsten Tag stand das zweite Konzert an, und zwar in der Stadthalle der direkt an der Grenze zu Lettland liegenden Stadt Valga, dessen Bürgermeister Margus Lepik uns einen wunderbaren Empfang mit Stadtführung und Buffett nach dem Konzert in der Stadthalle bereitete. Das Konzertprogramm war das selbe wie zuvor.

Der nächste Tag führte uns wieder nach Mustla, wo wir in kleiner Besetzung Werke von Dvořák, Mozart und Haydn in der kleinen Dorfkirche aufführten. Am Abend hatten wir die Dorfkneipe „Tünnikõrts“ für uns, wo wir mit vielen Esten und Freunden des Orchesters gegessen, getrunken und getanzt haben.

Dann aber ging es am nächsten Tag nach Norden in die Hauptstadt Tallinn. Unterwegs konnten wir in dem Städtchen Suure Jaani das Museum der drei estnischen Komponisten Artur, Villem und Eugen Kapp besuchen. In Tallinn hatten wir Gelegenheit, das alte Parlament (Riigikogu) auf dem Domberg zu besuchen und erhielten im Plenarsaal von Wirtschaftsminister Meelis Atonen, einem häufigen Besucher der Otto-Konzerte in Berlin, einen Überblick über die politische Lage des Landes. Daran schloss sich ein Rundgang durch die Altstadt an.

Der nächste Tag brachte uns in der Osten des Landes, wo wir direkt am Peipussee Quartier nahmen. Er ist der fünftgrößte See Europas und siebenmal so groß wie der Bodensee. Dort verbrachten wir einen wunderbaren sonnigen Ferientag, bevor wir am nächsten Tag nach Kohtla Järve fuhren, wo wir am Abend im Kulturpalast aus Stalin’scher Zeit unser letztes Konzert gaben. Wie schon bei den vorherigen Konzerten hielt Christoph Flügge (2. Geige) die deutsche Ansprache, unsere Trompeterin (und estnische Botschafterin in Berlin) Riina Kionka die estnische Ansprache, die von einem kleinen Mädchen für das überwiegend russische Publikum ins Russische übersetzt wurde. Dieses war das emotionalste Konzert unserer Reise, gefolgt von einem überaus gastfreundlichen Empfang mit Reden und Tränen.

Dann aber ging es zurück nach Riga, allerdings mit einer Pause und Stadtführung in der estnischen Universitätsstadt Tartu. In Riga hatten wir einen hoch kompetenten und humorvollen Stadtführer, Prof. Misans, der uns die lettische Hauptstadt zeigte und erklärte. Ganz kurzfristig und für alle Ottos völlig überraschend war es zum Abschluss gelungen, ein Ausflugsboot zu mieten und eine wehmütige Rundfahrt auf dem stattlichen Fluss Daugava (Düna) zu unternehmen. Dabei konnten wir das Ablegen der Fähre mit dem Instrumententransporter beobachten und den beiden Begleitern Diedrich und Helmut zuwinken. Und dann ging es am 5. Juli mit dem Flugzeug zurück nach Berlin.

Konzertreise nach Porlock U.K., Sommer 2001

Und dann war es soweit … Am 19. Juli 2001 verließen die Otto-Sinfoniker per Bus Berlin. Ziel der ersten Auslandstournee war Süd-West-England, genauer Porlock, im Exmoor Nationalpark gelegen. Unsere Dirigentin, Catherine Maguire, hatte die Reise angeregt und, wie sich dann herausstellte, perfekt organisiert. Mit Hilfe ihrer Familie vor Ort war alles bestens für einen neuntägigen Aufenthalt vorbereitet. England zeigte sich auch wettermäßig von seiner besten, nämlich sonnig-warmen Seite und vertrieb damit erste bange Gefühle, die sich bei der regnerisch stürmischen Kanalüberquerung eingestellt hatten.

Nun galt es drei Konzerte in Williton, Lynton und Porlock zu bestreiten. Zwar war das Orchester fünfzigköpfig angereist, allein es war kein einziger Hornist darunter. Dank der Beziehungen unserer Dirigentin konnte wir die Lücke mit vier „Profis“ schließen, einem Berliner Philharmoniker, einem Hornisten aus Bremerhaven, einem aus Süddeutschland und einer Hornistin aus London. Auf diese Weise verstärkt gelangen drei schöne Konzerte.

Auf dem Programm standen jeweils die Carmen-Suite No. 1 von Bizet, das Cello-Konzert No. 1 von Saint-Saens mit unserem vierzehnjährigen Solisten Arthur Hornig und Schumanns Symphonie No.4. Das Publikum war begeistert, was auch an die Dirigentin später zugesandte Dankesbriefe bestätigten. Die Stimmung im Orchester war ausgezeichnet, schließlich gab es außer Proben und Auftritten genügend freie Zeit für eine ausgedehnte Küstenwanderung, für einen ganztägigen Strandaufenthalt mit Volleyball, Fußball- und Boulespiel und nicht zuletzt auch für kammermusikalische Aktivitäten. Das Abschlussfest nach unserem letzten Konzert in Porlock, das für einige noch in der Bar des „Lorna Doone Hotels“ seine Fortsetzung fand, ließ jedenfalls eines sicher scheinen: dies war nicht unsere letzte Orchesterreise!